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Geplante vaginale Risikogeburt: Auf das Risikomanagement im Kreißsaal kommt es an

Die Sectio gilt mittlerweile nicht mehr als einzig sichere Variante bei Risikogeburten wie Beckenendlagen oder Mehrlingsschwangerschaften. Mit der richtigen Vorbereitung und einem perfekt abgestimmten Prozedere im Kreißsaal lässt sich das Risiko für Mutter und Kind(er) auch bei vaginalen Risikogeburten geringhalten. Welche Aspekte bei einer geplanten vaginalen Risikogeburt zu berücksichtigen sind, beleuchtet Vera Triphaus, gelernte Hebamme, Gesundheitswissenschaftlerin und Risikoberaterin bei der GRB Gesellschaft für Risiko-Beratung mbH, die in der Ecclesia Gruppe Krankenhäuser in allen Fragen des Risikomanagements (RM) und Qualitätsmanagements (QM) professionell begleitet.


In drei bis fünf Prozent aller Schwangerschaften liegt eine Beckenendlage vor. Die Häufigkeit einer Mehrlingsgeburt liegt bei 1:85, Tendenz steigend. Beide Schwangerschaftsverläufe ziehen eine Risikogeburt nach sich. Viele Gynäkologen entscheiden in einer solchen Situation, das Kind beziehungsweise die Kinder per Kaiserschnitt zur Welt zu bringen. Doch der operative Eingriff ist nicht die einzige mögliche Geburtsmethode. Die vaginale Risikogeburt bietet heute eine sichere Alternative zum Kaiserschnitt. Vor allem bei der Geburt von Kindern, die sich in Beckenendlage befinden, stellt die Methode keine Besonderheit mehr dar. Bei Mehrlingsgeburten verhält es sich etwas anders. Die gesicherte Frühdiagnostik, die Lage der Kinder im Mutterleib und die weiteren geburtshilflichen Umstände bestimmen den möglichen Geburtsmodus. Ob eine vaginale Entbindung möglich ist, muss im Einzelfall geklärt und bei Einsetzen der Wehentätigkeit erneut ärztlich geprüft werden. Stellt sich bei einer physiologisch verlaufenden Mehrlingsschwangerschaft der erste Mehrling in Schädellage in das mütterliche Becken ein, kann eine vaginale Geburt geplant werden.

Voraussetzungen für eine vaginale Risikogeburt und Aufklärung der Schwangeren und ihres Partners

Die Durchführung von vaginalen Beckenendlagen- und Mehrlingsgeburten bedarf einer sorgfältigen Planung und Vorbereitung. Neben der vorgeburtlichen Betreuung der Eltern und der Leitung der Geburt durch erfahrene Geburtshelfer spielen Schnittstellenregelungen mit den Abteilungen für Anästhesie, Neonatologie und dem OP eine entscheidende Rolle. Diese tragen maßgeblich zu einem positiven Outcome von Mutter und Kind bei.

Doch auch die vorgeburtliche Aufklärung der Eltern über die Durchführung einer vaginalen Risikogeburt als Behandlungsalternative zur Schnittentbindung sollte äußerst sorgfältig geführt und dokumentiert werden. Die Entscheidung der Schwangeren und ihres Partners für einen Geburtsmodus geschieht oftmals erst nach mehreren Gesprächen, weshalb jedes als solches inhaltlich zu dokumentieren ist. Der über den Geburtsmodus aufklärende Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe sollte zudem über die Weiterbildung „Spezielle Geburtshilfe und Pränatalmedizin“ verfügen, um neben der ärztlichen Sachkunde eine ergebnisoffene Beratung und objektive Aufklärung zu gewährleisten. Die Aufklärung darf keinesfalls verharmlosend sein, weder für die vaginale Geburt, noch für die Schnittentbindung. Das bedeutet, dass Wörter wie „Nabelschnurkompression“ und „Sauerstoffmangel des Neugeborenen“ der Schwangeren und dem Partner ebenso erläutert werden sollten wie die Möglichkeit der Geburtsbeendigung durch (Not-)Kaiserschnitt. Die zum Ende des Jahres 2018 erwartete Leitlinie „Sectio caesarea“ wird vermutlich auf weitere Aufklärungsaspekte eingehen oder Schwerpunkte setzen.

Zur Unterstützung der Aufklärungspraxis können für die Schwangeren und deren Partner Informationsmaterialen erstellt und im Erstgespräch ausgeteilt werden. Eine ausführliche ärztliche Aufklärung ersetzen diese jedoch nicht.

Darüber hinaus ist innerhalb der geburtshilflichen Abteilung zu regeln, wie mit Gebärenden mit vaginaler Risikogeburt umgegangen wird, die sich nicht präpartal in der Geburtsplanungssprechstunde vorgestellt haben und somit auch nicht aufgeklärt wurden.

Vaginale Risikogeburten im Perinatalzentrum

Vaginale Risikogeburten erfolgen in der Regel in einem Kompetenzzentrum für Früh- und Neugeborenenmedizin, dem Perinatalzentrum, oder in Entbindungskliniken mit hoher Geburtenzahl. Dort verfügen die Geburtshelfer über die geforderte Erfahrung bei der Leitung von vaginalen Risikogeburten, was nachweislich die (Früh-) Morbidität der Neugeborenen senkt. Darüber hinaus sind die geburtshilflichen Handgriffe im Team aufeinander abgestimmt. Dafür sorgen zum Beispiel berufs- und professionsübergreifende Trainings oder Simulationen. Schriftliche Standards zum Verfahren bei vaginalen Beckenendlagen- und Mehrlingsgeburten leisten Übriges, indem sie das Vorgehen einheitlich regeln.

Vaginale Risikogeburten im Krankenhaus – personelle, strukturelle und organisatorische Vorgaben

Die Durchführung vaginaler Risikogeburten stellt hohe personelle, strukturelle und organisatorische Ansprüche an die Entbindungseinrichtung. Die Vorgaben des Gemeinsamen Bundesausschusses sowie die Leitlinien und Empfehlungen der Fachgesellschaften müssen eingehalten werden. Weitere Anforderungen ergeben sich aus der individuellen Situation vor Ort.

Bietet ein Krankenhaus die Durchführung vaginaler Risikogeburten an, müssen vor allem die personellen Ressourcen jederzeit gegeben sein. Entsprechende interdisziplinäre Regelungen sind schriftlich zu vereinbaren und regelmäßig auf ihre Praxistauglichkeit hin zu prüfen. Relevant werden die getroffenen Regelungen, wenn mit Beginn der aktiven Pressphase der Ruf zum sogenannten Stand-by aus dem Kreißsaal erfolgt. Die Mitarbeitenden der Anästhesie, Neonatologie und gegebenenfalls des OP-Pflegeteams müssen sich ab diesem Zeitpunkt in den Räumlichkeiten des Kreißsaals befinden, um im Bedarfsfall zeitnah zur Verfügung zu stehen. Dieses Bereithalten für den Ernstfall stellt in der Geburtshilfe die „gekonnte Nicht-Intervention“ dar und ist Ausdruck eines professionellen Vorgehens.

Die Dauer des Stand-bys ist unterschiedlich. Manchmal ist der Stand-by- Modus innerhalb von zehn Minuten beendet, manchmal dauert er bis zu zweieinhalb Stunden. Sinnvoll ist eine Festlegung, wer zu welchem Zeitpunkt den Stand-by beendet: nach Abschluss der Kindsgeburt(en) oder nach Geburt der Plazenta.

Darüber hinaus ist mit dem Neonatologen zu klären, ob dieser bei der Geburt von Mehrlingen die Erstuntersuchungen vornimmt oder ob die Kinder in der Verantwortung der Geburtshelfer bleiben.

Weiterer entscheidender Faktor für einen positiven Verlauf einer vaginalen Risikogeburt ist die Ausstattung des Kreißsaales. Der Kreißsaal muss genügend Platz bereitstellen für CTG-, Narkose- und gegebenenfalls Ultraschallgerät sowie für Kreißbett, Infusionsständer, mindestens zwei Geburtshelfer und den Kindsvater. Innerhalb kürzester Zeit muss eine Intubationsnarkose durchführbar sein. Der Standort des Narkosegerätes ist nach einem Praxistest festzulegen. In einigen Kliniken werden Narkosen grundsätzlich nur im OP-Bereich durchgeführt. In diesen Fällen sind das Vorgehen von Anästhesie und OP-Pflege entsprechend anzupassen und der Transportweg zu prüfen. Um im kindlichen Notfall möglichst kurze Entscheidungs-Entbindungs-Zeiten garantieren zu können, sollte jedoch eine Durchführung der Narkose im Kreißbett präferiert werden.

Für das Neugeborene wird eine Reanimationseinheit benötigt. Der Aufstellungsort sollte optimale Versorgungsmöglichkeiten bieten (Platz, Druckluft, Sauerstoff, Abgeschirmtheit). Selbstverständlich muss die Schwangere eine periphere Venenverweilkanüle haben, und es müssen alle erforderlichen Medikamente aufgezogen und beschriftet im Kreißsaal liegen.

Ablauf einer vaginalen Risikogeburt im Krankenhaus

Bei Aufnahme der Schwangeren zur Geburt sind die beteiligten Berufsgruppen rechtzeitig zu informieren, damit die abteilungsinterne Organisation festgelegt werden kann. Wichtig ist vor allem, vor Beginn der aktiven Pressphase die Gesamtsituation im Kreißsaal zu erfassen und auf die anstehende vaginale Risikogeburt auszurichten. Das heißt, bei starkem Arbeitsanfall muss gegebenenfalls die Durchführung einer elektiven Schnittentbindung zeitlich nach hinten verschoben werden, oder Geburtseinleitungen weiterer Schwangerer müssen temporär gestoppt werden. Denn eine intrauterine Überwachung von Kindern anderer Schwangerer im Kreißsaal ist während der vaginalen Risikogeburt nicht garantiert.

Der Verlauf nach der Geburt des Kindes gleicht bei einer vaginalen Beckenendlagengeburt dem Vorgehen nach einer „normalen“ Geburt. Bei Mehrlingen ist zwischen den Geburten der Kinder Achtung geboten. Sonografisch ist festzustellen, welcher vorangehende Teil des nächsten Kindes führt. Der Bauch der Schwangeren sollte geschient werden, damit das Kind sich in Längslage in den Beckeneingang einstellt. Zwischen den Geburtshelfern muss klar sein, ob ein aktives (Fruchtblasensprengung) oder passives (Abwarten) Vorgehen favorisiert wird. Ein Wehentropf sollte aufgezogen im Kreißsaal liegen. Die Herztöne des noch intrauterin befindlichen Kindes müssen eindeutig hörbar sein und per CTG dokumentiert werden. Die vaginale Blutung ist auf Zeichen einer vorzeitigen Plazentalösung hin intensiv zu überwachen. Die (Früh-)Morbidität des nachfolgenden Mehrlings ist immer höher im Vergleich zum zuvor geborenen Kind. Wichtig ist deshalb, dass der Geburtshelfer die vitale Situation richtig einschätzt und entsprechende Maßnahmen korrekt durchführt.

Fazit

Die Durchführung vaginaler Risikogeburten im Kreißsaal ist eine sichere Alternative zum Kaiserschnitt. Unter Einhaltung aufklärerischer, organisatorischer, personeller und struktureller Voraussetzungen ermöglicht die vaginale Risikogeburt ein positives Outcome von Mutter und Kind(ern). Eine gemeinsam erarbeitete Schnittstellenregelung ist die wesentliche Bedingung für einen reibungslosen Ablauf. Hervorzuheben sind dabei die Hinzuziehungsregelungen zum sogenannten Stand-by, der ein unverzügliches, zeitgleiches und gemeinsames Handeln aller im Sinne der Patientensicherheit ermöglicht. Darüber hinaus wird das Image des Krankenhauses beziehungsweise der Geburtsabteilung deutlich gestärkt, wenn die Begleitung von vaginalen Risikogeburten angeboten wird. Ein großer Teil der Schwangeren wünscht sich eine „normale“ Geburt.